Laura B. Reich: Flugangst inklusive!Melanie hoch über den Wolken | ||
Leseprobe 1 - Ver. 13.04.2019 | ||
Inhaltsverzeichnis
RollfeldSchon vor Stunden hat sich die Sonne hinter einer bleigrauen Wolkendecke versteckt. Starke Winde und der feine Sprühnebel des Nieselregens lassen es kälter erscheinen, als es tatsächlich ist. Ihn fröstelt, wenn er durch die großen Scheiben den schnell dahinziehenden Wolken folgt. In diesem Moment ist er heilfroh, hier innen im Café zu sitzen. Was für eine blöde Idee, heute das Motorrad zu nehmen. Er greift nach der Espressotasse und leert sie mit einem Schluck. Es ist bereits die Dritte. Eine Maschine startet. Selbst durch die dicken Glasscheiben kann er das Dröhnen der vier Triebwerke der Boeing 747-400 hören. Ein kleiner Junge steht vorne direkt am Fenster, drückt Hände und Nase gegen die Scheibe und hüpft aufgeregt auf der Stelle. Der Mann neben ihm ist bereits etwas älter. Wahrscheinlich der Großvater, der mit seinem Enkel heute einen Ausflug auf den Flughafen unternommen hat. Sein Blick streift die Anzeigetafel. Alles ist unverändert. Einer der Gründe, warum er genau diesen Platz gewählt hat. Er muss nur den Kopf drehen. Bisher läuft alles nach Plan. Die Maschine sollte pünktlich landen. Nachdem er die Uniform einer bestimmten Fluglinie zuordnen konnte, war der Rest ein Kinderspiel. Er ließ entsprechende Beziehungen spielen, um an die Flugpläne zu gelangen. Nahezu unbegrenzte Ressourcen, die ihm zur Verfügung stehen, sorgten für das nötige Stillschweigen. Er schlägt die Illustrierte auf und blättert, bis er das lose Foto findet. Wie viele Male hat er es betrachtet, seitdem er hier sitzt? Er hat nicht mitgezählt. Zur Kontrolle nimmt er das Smartphone, wischt und tippt mit dem Zeigefinger, bis er das Verzeichnis mit den letzten Aufnahmen durchsehen kann. Ohne Zweifel, das ausgedruckte Bild zeigt sie aus dem besten Blickwinkel, so, dass er sie auch in Straßenkleidung spielend leicht erkennen sollte. Ihm bleibt nach der Landung nur wenig Zeit, denn meist treffen ihre Kollegen und sie bereits mit den ersten Passagieren, die am raschesten das Gepäck bekommen haben, in der Ankunftshalle ein. Nur gut, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Uniform noch nicht gegen Zivilkleidung getauscht hat. Zumindest war es bisher der Fall. Bei den letzten Landungen herrschte allerdings kein solch ausgesprochenes Schmuddelwetter wie heute, nasskalt und stürmisch. Stöhnend kratzt er sich am Kopf und überlegt, ob er noch etwas trinken soll. Keinen Espresso mehr, das wäre zu viel des Guten. Trotz des Glas Wassers, dass er dazu serviert bekommen hat. Ihm gelüstet es nach einem frisch gezapften kühlen Pils. Unmöglich, er muss fahren. Ein Mineralwasser mit Kohlensäure wird genügen, es vertreibt den aufdringlichen Kaffeegeschmack. Er spürt, wie die Hände zittern. Das reichlich konsumierte Koffein trägt dabei jedoch nur eine Teilschuld. Das, was er geplant hat, zu tun, ist viel entscheidender. Er kann nichts dagegen machen. Ein Zwang, eine Art Obsession oder doch eher eine Sucht? Er weiß nur, er muss es zumindest versuchen. Alles, was er bisher unternahm, stellt ihn schon lange nicht mehr zufrieden. Bars, Restaurants, Vernissagen, Empfänge, selbst Online-Portale und Partnerbörsen, sie öden ihn an und verleiten ihn nur dazu, immer wieder in Stereotype zu verfallen. Es fehlt der besondere Reiz, der seinen natürlichen Jagdtrieb animiert. Obwohl er das volle Programm mittlerweile dutzende Male durchgezogen hat, es bis auf zweimal perfekt funktionierte, verspürt er trotzdem jedes Mal aufs Neue, Lampenfieber. Zu viele Unwägbarkeiten, das ist ihm klar. Alles muss passen, besonders das Timing. Doch mehr als beobachten, spekulieren und aus den Erfahrungen der vergangenen Male schöpfen, kann er nicht. Was würde eigentlich geschehen, wenn es diesmal nicht klappt? Diese Frage stellt er sich andauernd. Wenn er es eingehend betrachtet, nichts. So, wie die beiden Reinfälle, die es immerhin vermocht haben, sein Selbstbewusstsein und vor allem seinen Stolz gehörig anzukratzen. Abgesehen davon, hätte er lediglich Zeit verschwendet, zugegeben eine ganze Menge. Aber liegt nicht genau darin der Reiz? Recherchieren, observieren, im exakten Moment zuschlagen, in der Hoffnung, dass alles gelingt? So, dass es völlig willkürlich wirkt, ungeplant, ein dummer Unfall, der ihn den ersten Adrenalinkick beschert. Dass es sich bei all dem um ein perfekt inszeniertes Schauspiel handelt, wissen nur er und sein Freund. Seufzend hebt er die Hand und winkt der Bedienung. Sie ist ausgesprochen hübsch, eine Farbige, vermutlich aus Zentralafrika, aber leider überhaupt nicht sein Typ. Sie hat ihn bemerkt. Das strahlende Lächeln ihrer weißen Zähne sieht er bis hier her. Bei ihr hätte er sicherlich leichtes Spiel, so wie sie ihn bereits die ganze Zeit über anschmachtet, seitdem er hier sitzt. Die schwarze Lederjacke, der Helm, manche Frauen stehen auf Motorräder ebenso, wie auf deren Fahrer. Er hat keine Ahnung, was sie damit verbinden. Urlaub? Freiheit? Coolness? Feiern? Eine härtere Gangart? Es ist ihm auch egal. Für ihn bedeutet es nur ein geeignetes Mittel zum Zweck. Weitere Romane
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Impressum2. Auflage 2017-2023 - © Laura B. Reich - Alle Rechte vorbehalten. Letzte Änderung am: 12.09.2023 |