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PrologEcht gruselig diese Szene... Es ist spät, verdammt spät, wie so oft in letzter Zeit. Zu dieser Stunde zeigt der Herbst sein wahres Gesicht, kühl, feucht und windig. Typisch für Ende Oktober. Die dunklen Gassen im Süden der Stadt, unmittelbar am Fluss, sind anfällig dafür. Im trüben Licht der wenigen Straßenlaternen glänzt das alte Kopfsteinpflaster an manchen Stellen. Dort, wo sich die Feuchtigkeit als rutschiger Film darüber gelegt hat. Der Stadt fehlt das Geld, die Pflastersteine durch Teer zu ersetzen, ebenso wie die Lampen durch neue, hellere zu tauschen. Hier in dieser Gegend wohnen sowieso nur alte Leute oder Ausländer in schäbigen alten Wohnungen und heruntergekommenen Häusern. Keine Geschäftsleute oder Stadträte, die sich daran stören. Sie wollte Zeit sparen und wählte die Abkürzung durch diese Gasse. Am Tag sah alles völlig harmlos aus, doch jetzt mitten in der Nacht ist ihr gar nicht mehr wohl mit jedem Schritt, den sie zurücklegt. Sie blickt immer wieder nervös über ihre Schulter, hat das unbestimmte Gefühl, verfolgt zu werden. Vielleicht ist es ja nur die Müdigkeit, die ihr einen Streich spielt. Oder die Erschöpfung nach dem kräftezehrenden Auftrag, die ihren eigenen, diffusen Schatten an der Wand zu einem unheimlich wirkenden Monster mutieren lässt. Hastig wendet sie erneut den Kopf und übersieht den Treppenabsatz eines alten Sandsteinhauses. Sie erschrickt, stößt einen spitzen Schrei aus, als sie sich den rechten Fuß anschlägt und ins Straucheln gerät. Dieser verflixte enge Rock und die viel zu hohen Absätze sind schuld. Verzweifelt stützt sie sich mit der Hand am rauen Putz der Hauswand ab. Die kleinen Körnchen des Sandsteins sind messerscharf und beißen sich gnadenlos in ihre empfindliche Haut. Sie stöhnt vor Schmerz und kann ihren Sturz noch in allerletzter Sekunde verhindern. Der Stoff des kurzen Rockes ächzt und reibt unangenehm über die geschundene Haut ihres Hinterteils. Es treibt ihr fast die Tränen ins Gesicht. Noch immer spürt sie die harten Schläge, die ihr der Kunde heute verpasst hatte. Er war böse, weil sie diesmal einen so unzüchtig kurzen Rock getragen hatte. Er musste sie dafür bestrafen. Zuerst mit der Hand. Er legte sie einfach übers Knie, versohlte ihr den Arsch und besorgte es ihr später mit der Gerte. Sie flehte und schrie, doch er blieb unerbittlich. Gab ihr die volle Anzahl, die er ihr angedroht hatte. Und zusätzlich eine Extraportion für ihr ständiges Gejammere. Das gehörte alles zum Spiel und sie wusste es. Er hatte sie extra darum Gebeten und alles haarklein im Voraus mit ihr vereinbart, sogar die Anzahl der Extraschläge. Es war nicht ungewöhnlich, dass Kunden ihr genau auftrugen, wie sie sich zu kleiden hatte und was sie von ihr erwarteten. Sie wurde fürstlich entlohnt, zumindest für ihre Verhältnisse als angehende Studentin. Ihr Herz rast noch immer, als die Schmerzen in ihrem Fuß und der Hand allmählich wieder nachlassen. Nur das Brennen auf ihrem Hinterteil bleibt. Sie muss neue Salbe kaufen und Schmerztabletten. Sie zögert und traut sich nicht, nach ihrem Schuh zu sehen. Es sind echte Tibur Vernis, Peeptoes aus schwarzem Lackleder und roten Sohlen mit 10 cm hohen Stiletto-Absätzen. Ein zeitloses Model von Louboutin. Scheiß teuer. Für einen Augenblick vergisst sie sogar ihre Angst. Zu blöd. Warum hat sie sich kein zweites Paar Turnschuhe für den Nachhauseweg eingepackt? Nur wenige Sekunden später hört sie das leise Knacken hinter sich und zuckt erschrocken zusammen. Es ist nicht das erste Mal. Ihr Puls pocht laut in den Ohren. Sie muss sich beherrschen nicht einfach loszurennen. Aber wie denn, mit diesem Rock und den Schuhen? Ängstlich verharrt sie und vergewissert sich mit einem raschen Blick über die Schulter, ob ihr tatsächlich jemand folgt. Schon seit ihrem Aufbruch vom Appartement hat sie das unbestimmte Gefühl. Sie zählt sich nicht unbedingt zu den ängstlichen Frauen, läuft diesen Weg heute auch nicht zum ersten Mal. Doch diese Nacht scheint alles irgendwie anders zu sein. Dunkler, unheimlicher, die Geräusche lauter und die Schatten länger und schwärzer, als wollen sie nach ihr greifen. Ihre Schwärze nach ihr ausstrecken. Die Straßenlaterne über ihr blinkt und flackert. Sie ist defekt, schon seit Monaten. Eine dieser alten langen Neonröhren, die nur für Licht oben an der Lampe sorgen aber kaum den Boden erhellen. Sie tritt vom Gehweg auf die Straße. Hier würden keine weiteren Treppenabsätze lauern. Sie macht nur wenige Schritte, bis sie mit den dünnen Absätzen ihrer Pumps zwischen dem Kopfsteinpflaster stecken bleibt, sich den Knöchel verdreht und erneut ins Straucheln gerät. Nur mit Gewalt und unter Schmerzen kann sie ihren Fuß aus dem schmalen Spalt befreien und büßt dabei den kleinen Hartgummi-Absatz ein. «So eine verdammte Scheiße», entfährt es ihr, als sie hinkend mit wenigen Schritten die Straße überquert und auf dem schmalen Gehweg der linken Seite den Schaden begutachtet. Sie schiebt den Rock ein Stück nach oben und geht in die Hocke, massiert sich den schmerzenden Knöchel und beäugt ihren lädierten Pumps. Der Lack hat gelitten, fühlt sich unter ihren Fingern rau an. Zum Glück hat sie wenigstens noch Ersatzabsätze zuhause, sonst wäre der Schuh endgültig ruiniert. Sie läuft vorsichtig weiter. Hier herrscht noch größere Dunkelheit. Das spärliche Licht der Straßenlampen von gegenüber reicht nicht bis hierher. Sie erkennt kaum die unebenen Pflastersteine, die vor ihr liegen. Hohe, verwitterte Sandsteinmauern säumen diese Seite der Gasse. Nur schmale Eingänge durchbrechen die Mauerfront, über die die Äste von Bäumen und Sträuchern bis auf den Gehweg ragen. Die Eingänge führen alle zu Gärten von Häusern, die zurückversetzt stehen. Hier auf dieser Seite ist es noch gruseliger, die Schatten noch dunkler, noch länger und die Gasse scheint heute kein Ende zu nehmen. Ein kühler Windstoß lässt sie erschaudern. Plötzlich knackt es laut neben ihrem Kopf. Sie duckt sich erschrocken und blinzelt reflexartig. Ihr Herz schlägt laut bis zum Hals, als sie die Augen weit auf reißt. Für einen Moment verharrt sie bewegungslos und lauscht. Doch sie hört nur ihren eigenen Herzschlag. Kein Laut, kein Geräusch. Ganz in der Ferne vernimmt sie die Sirene eines Polizeiautos. Sie fröstelt noch mehr und kuschelt sich in die dünne Strickjacke. Trotz des angenehm warmen, sonnigen Herbsttages zieht jetzt, mitten in der Nacht, Nebel auf. Der Fluss, der nicht weit entfernt liegt, liefert die nötige Feuchtigkeit. Noch immer kein Geräusch. Niemand, der sie verfolgt. Sie bildet sich alles nur ein, beruhigt sie sich selbst. Zögerlich setzt sie ihren Weg nachhause fort. Das Klacken ihrer hohen Absätze, reflektiert von der hohen Mauer, hallt viel lauter als sonst in ihren Ohren. Klick, klack, klick, klack. Ihr rechter Schuh klingt etwas dumpfer als ihr linker, weil der Gummiabsatz fehlt. Kichern steigt in ihr hoch, hysterisch. Ihre Nerven sind bis aufs Äußerste angespannt. Das Kichern fühlt sich so gut an. Es nimmt ihr den Druck und die Last der Anspannung. Es knackt erneut, deutlich lauter und diesmal genau über ihrem Kopf. Sie stößt einen spitzen Schrei aus, reißt den Kopf nach hinten, sodass ihre Halswirbel knacken, als sie zwei große gelbe Augen anstarren. Sie sieht schemenhaft etwas Dünnes, Weißes zwischen den Ästen über sich auftauchen, ganz nahe vor ihrem Gesicht, doch sie ist unfähig sich zu bewegen. Es folgt ein leises Miau. Die Katze springt mit einem eleganten Satz von der Mauer und landet genau vor ihren Füßen auf dem Gehweg. Rasch überquert das schwarz-weiß getigerte Fellknäuel die schmale Straße und verschwindet durch die Katzenklappe einer Haustür. Erstarrt vor Angst weiß sie zunächst nicht, wie ihr geschieht. Ihre Lungen brennen, weil sie vergessen hat, zu atmen. Mit leisem Zischen entweicht der Atem durch ihre zusammengebissenen Zähne. Sie genießt den ersten tiefen Atemzug mit frischer, kühler Luft. Eine Katze. Ihr Verfolger ist nur eine Katze. Vermutlich schon die ganze Zeit. Katzen mögen sie, schon seitdem sie noch ein kleines Kind war. Warum hat sie nicht sofort daran gedacht? An das Einfachste? Ihr ist zum Heulen zumute, doch sie entscheidet sich für Lachen. Wie kann sie nur so ängstlich und dumm sein? Wer soll sie schon verfolgen? Warum auch? Ihr fällt sofort ein guter Grund ein. Besonders heute würde sie ein lohnendes Opfer für einen Dieb abgeben. Das Geldbündel in ihrer Tasche fühlt sich mit einem Mal schwer an, wie Blei. Ängstlich packt sie den Griff der Handtasche fester und hält sie schützend vor die Brust. Sie hat doch Pfefferspray und kann sich wehren. Außerdem wird sie gleich diese elend dunkle Gasse verlassen und in die breitere, heller beleuchtete Gartenstraße einbiegen. Sie stöhnt gequält, als sie wallende Nebelschwaden vor sich bemerkt. Immer rascher und dichter ziehen sie, vom Wind getrieben, durch einen engen Fußweg vom Fluss hoch und trüben ihre Sicht. Sie kennt diesen schmalen Weg, ist ihn schon einmal gelaufen. Einmal und nie wieder. Damals kam ihr ein Mann mit einem Hund entgegen und es gab keine Möglichkeit aneinander vorbei zu kommen. Sie rettete sich in den niedrigen Durchgang zu einem der Gärten, der mit einer Tür verschlossen war und ihr eine Flucht verwehrte. Mit Dornen verzierter, schmiedeeiserne Stäbe drückten schmerzhaft in ihren Rücken, als sie ängstlich wartend die Luft anhielt. Sie erinnert sich noch heute an den übel riechenden Atem des Hundes. Irgend eine Dogge oder ein Dobermann. Mit Hunden kennt sie sich nicht aus. Aber er erschien ihr schwarz und riesengroß. Sie hat Angst vor Hunden. Und dann dieses feiste Lachen des Mannes, der den Hund an der kurzen Leine an ihr vorbei führte. Kahl rasierter Schädel, ein auffälliges Tattoo am Hals, schwarze Fliegerjacke und klobige Springerstiefel. Warum sind es immer die gleichen Typen, die solche Hunde besitzen? Doch heute Nacht drängt nur dichter weißer Nebel aus dem Fußweg, kein furchteinflößender schwarzer Hund und auch kein unheimlicher Mann. Nebel, es ist nur Nebel, versucht sie sich, zu beruhigen. Noch wenige Schritte trennen sie von der Einmündung. Soll sie gleich hier die Straßenseite wechseln? Sie muss sowieso später rechts in die Gartenstraße abbiegen. Ihr Blick fällt auf das unebene Kopfsteinpflaster neben ihren Füßen. Weiter vorne entdeckt sie einen Streifen geteerter Straße. Vermutlich von Kanalarbeiten. Klick, klack, klick klack. Sie weiß nicht, was lauter schlägt, ihr Herz oder ihre Absätze. Verdammt, warum hat sie kein Taxi angehalten, vorne an der Hauptstraße. Oder an der Bushaltestelle, wo immer Wagen warten. Aber nein. Sparen, sparen, sparen, immer nur dieses blöde Geld. Nur nichts verschwenden. Das hat sie nun davon. Ihr rechter Schuh ist vielleicht nicht mehr zu gebrauchen. Ein teurer Schuh, stolze 485 Euro kostete sie das Paar. Zuhause wird sie ihn genauer begutachten. Klick, klack, klick klack. Sie wagt nicht, ihren Kopf zu drehen, um in dieses finstere Loch zu blicken, der doch nur ein Fußweg ist. Panik überwältigt ihren Verstand. Ihre Finger umklammern den Griff der Handtasche so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Am liebsten würde sie jetzt einfach losrennen. Nur ein paar schnelle Schritte würden genügen, dann wäre sie vorbei. Doch der enge Rock behindert sie und ihr lädierter Fuß spielt nicht mit, quittiert überraschend den Dienst. Der Knöchel knickt um, ohne Vorwarnung und sie stürzt dem Bordstein entgegen. Keine Chance, den Sturz abzufangen. Sie hört ihr Handgelenk laut Knacken, bevor ein stechender Schmerz ihren Arm hochjagt. Es raubt ihr den Atem, als sie auch noch mit der Schulter auf der Kante des Bordsteins aufschlägt. Ihr eigener, gepresster Schrei schmerzt in ihren Ohren, treibt ihr Tränen in die Augen, bevor etwas ihr langes Haar packt und ihren Kopf herum reißt. Eine große Hand in einem schwarzen Handschuh und dunkle Beine, das letzte, was sie sieht, bevor es noch einmal knackt. Diesmal ist es ihr Genick. Danach herrscht nur noch Leere. Sie spürt nicht mehr, wie ihr Kopf hart auf den Gehweg prallt, als der schwarze Handschuh ihre Haare wieder freigibt. [..] Sie hätte ihren Mörder gesehen, ihn vermutlich sogar erkannt. Sein Werk ist noch nicht vollendet. Die nächsten Schritte sind immer die gefährlichsten. Er muss rasch handeln, darf trotzdem keine Spuren hinterlassen. Das Messer ist schmal und sehr scharf. Kenner hätten es als Laguiole, ein traditionelles, französisches Taschenmesser erkannt. Mit flinken Bewegungen schneidet er die Bluse und den BH in Fetzen, darauf bedacht, nichts vom Textil abzutrennen. Nun liegt sie mit entblößtem Oberkörper vor ihm. Für einen Moment starrt er auf die zarten Brüste die unnatürlich bleich und hell im spärlichen Licht der Straßenlampe zu leuchten scheinen. Er vergeudet kostbare Sekunden. Sekunden, in denen er Gefahr läuft, entdeckt zu werden. Noch immer strömt das Adrenalin durch seine Adern. Er keucht, als hätte er gerade einen Spurt hinter sich gebracht. Dabei waren es nur wenige Schritte und ein beherzter Griff in die haselnussbraunen Haare. Alles verlief heute viel einfacher als gedacht. [..] Er bedeckt die Stellen mit großen Baumwolltupfern, die er griffbereit aus der Manteltasche zieht. Warum es hier tun und nicht an einem sicheren Ort? Das hat er sich selbst schon oft gefragt. Alles kostet Zeit. Doch diese Bilder in seinem Kopf verfolgen ihn seit damals, zwingen ihn, so zu handeln. Er kann nicht anders. Sein Stöhnen hallt laut von der Mauer, als er sein Werk betrachtet. Er wirft einen gehetzten Blick in alle Richtungen entlang der Straße. Kein Mensch weit und breit zu sehen. Nicht weiter verwunderlich um 3:00 Uhr morgens. Trotzdem sind auch zu dieser Zeit Menschen unterwegs. Nur einer davon genügt, wenn es derjenige ist, der ihn entdeckt. Den Leichensack aus dünnem, reißfesten, schwarzen Kunststoff nimmt er aus seinem Rucksack, ebenso einen kleinen Kanister mit Bleichmittel. Dumm, dass sie so unglücklich gefallen ist und einen Blutfleck auf dem Pflaster hinterlassen hat. Aber das Bleichmittel wird alle DNA-Spuren beseitigen, die ihres Urins und Blutes und auch seine. Andächtig bettet er sie auf den Kunststoff, zieht langsam den Reißverschluss nach oben, streicht eine verirrte Strähne ihres langen Haares vorsichtig in den Sack, bevor er ihn mit einem Seufzen endgültig schließt. Genau solches Haar hat er gesucht. Sehr lange sogar. Haselnussbraun und leicht gewellt, dass bis zur Hüfte reicht. Es fällt ihm nie leicht, es zu tun, auch diesmal nicht. Aber es muss getan werden. Es fehlt nicht mehr viel und sein Werk ist vollendet. Die junge Frau über der Schulter spürt er kaum. Das Adrenalin in seinem Blut gibt ihm die nötige Kraft. Fast lautlos verschwindet er auf den Gummisohlen in der Dunkelheit des schmalen Fußweges. Dort wo er auf sie gewartet hat, geduldig, eiskalt. Der Nebel umhüllt seine Gestalt und schluckt schon nach wenigen Augenblicken das leise Ächzen, als er sich rasch entfernt. Dieses Mal hätte es sich für ihn sogar finanziell gelohnt. In der Handtasche, die er ihren toten Händen entrissen hat, findet er später mehr als 1.400 Euro in großen Scheinen. Doch Geld interessiert ihn nicht. Schließlich ist er kein Dieb. Ich muss Schluss machen. Schließlich war ich nicht dabei. Nur meine Freundin Laura B. Reich weiß Bescheid. Und sie schafft es, dass selbst ich beim Lesen noch immer Gänsehaut bekomme. |